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6 Alles, wirklich alles... TODO SOBRE MI MADRE


Am Ende von ¿QUÉ HE HECHO YO PARA MERECER ESTO!! (WOMIT HABE ICH DAS VERDIENT?) steht Gloria allein neben dem Bus, der Großmutter und Enkel zurückbringt aufs Land. Das musikalische Motiv, das Saxophon, verbindet Carmen Mauras Gloria mit jener Gloria, die Gena Rowlands in dem gleichnamigen Film GLORIA, DIE GANGSTERBRAUT, USA 1980) von John Cassavetes spielt. Tatsächlich klingt auch in den letzten Sätzen ihres Sohnes Miguel, der ihr mitteilt, er werde jetzt bei ihr bleiben, da das Haus einen Mann benötige, die

großspurige Attitüde des ebenso vorlauten wie schutzbedürftigen Jungen nach, den Gena Rowlands durch alle Fährnisse der Mafiawelt geleitet. Und so scheint die triumphierende Stimme des Saxophons auch Almodóvars Gloria ein neues, abenteuerliches Leben zu versprechen, wenn sie sich mit dem Strichjungen aufmacht in ein neues Figurendasein. Siebzehn Jahre später wird dieses Paar, werden Mutter und Sohn in die Filmwelt Almodóvars zurückkehren, in einem Film der endlich alles über die Mutter sagen möchte.


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TODO SOBRE MI MADRE (ALLES ÜBER MEINE MUTTER). Pedro Almodóvar, E 1999 (2. bis 5. Minute)

Am Anfang von TODO SOBRE MI MADRE sehen wir Manuela, die in der Küche das Essen zubereitet, und den Sohn Esteban (Eloy Azorín), der vor dem Fernseher wartet. Er drängt zur Eile, der Film beginnt: ALL ABOUT EVE (ALLES ÜBER EVA, USA 1960) mit Bette Davis. Es sind nur wenige Minuten, in denen TODO SOBRE MI MADRE in seinen harmonischen Raum- und Farbarrangements das Bild einer Beziehung entwirft, von der Sigmund Freud behauptete, es sei die vollkommenste Liebesform, derer wir fähig sind. Dann wird Esteban tot sein, überfahren von einem Auto, während er seinem Idol, der Schauspielerin Huma Rojo (Marisa Paredes), nachjagte, die in einem anderen Auto davonfuhr.

Wir, die Zuschauer, sahen sie zuvor bereits auf der Bühne, sahen ihr plakatiertes Gesicht, ein Star, ein Idol, eine Ikone. Wir sehen das


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TODO SOBRE MI MADRE (ALLES ÜBER MEINE MUTTER). Pedro Almodóvar, E 1999 (7. bis 8. Minute)

überdimensionierte Porträt, mit dem das Gesicht Humas zu einem Plakat wird, das die gesamte Gebäudefront des Theaters einnimmt. Was wiederum die Front des Gebäudes in ein Gesicht verwandelt, das uns ansieht; wir hingegen sehen Esteban, der – Schuss, Gegenschuss, Schuss – seine Mutter beobachtet: Manuela, verloren und klein vor jenem überdimensionierten Gesicht. Unsere Aufmerksamkeit gilt nicht der glamourösen Künstlichkeit des Stars, sondern dem seltsam ungebrochen psychologisch-realistischen Schauspiel Cecilia Roths. Im nächsten Moment ist es diese Schauspielerin, deren kunstvoll in Szene gesetzter Schrei uns ähnlich in den Bann zieht wie der Star Huma den Fan Esteban, der im Regen wartet, für ein Autogramm, der ihr nachjagt, um einen Moment ihrer Aufmerksamkeit zu erhaschen und dabei sein Leben verliert. 



Wie alle Filme Almodóvars entspinnt auch TODO SOBRE MI MADRE ein dichtes Netz von Verweisen und Reminiszenzen, das den Figuren ein gleichsam faktisches Leben, eine tatsächliche Herkunft, eine reale Abstammung, eine Jugend, eine Reife, ein Alter in anderen, früheren Filmen, Theaterstücken, Liedern zuschreibt. Wenn etwa die Schauspielerin Marisa Paredes einerseits in ihrer Erscheinung und Spielweise die Figur des weiblichen Bühnenstars als Variation der Rolle anlegt, die wiederum Gena Rowlands in OPENING NIGHT (DIE ERSTE VORSTELLUNG, USA 1977), einem weiteren Film von John Cassavetes, spielt; wenn sich andererseits eben diese Figur explizit einem anderen Hollywoodstar widmet, indem sie ihre Namenswahl – Huma – damit begründet, dass sie sich die Art, wie Bette Davis

Zigaretten raucht, zum Vorbild ihrer Selbstdarstellung gewählt hat, dann ist das weit mehr als eine Hommage an zwei Hollywood-Schauspielerinnen. Vielmehr ist die Figur selbst, der Theaterstar Huma, in zwei übereinandergelegten Perspektiven gezeichnet: zum einen aus der Sicht von ALL ABOUT EVE mit Bette Davis und zum anderen aus der Sicht von OPENING NIGHT mit Gena Rowlands. Diese perspektivische Dopplung der Figur spiegelt sich wiederum in den zwei Theaterrollen, die Huma innerhalb des Filmes spielt. Das ist einmal die Blanche aus dem Tennesse Williams-Stück "A Streetcar Named Desire" ("Endstation Sehnsucht", 1947) und zum anderen die Mutter in García Lorcas "Bodas de sangre" ("Bluthochzeit", 1933), die den Tod ihres Sohnes beklagt: einmal eine Frau, die niemals Mutter war, und einmal eine, die nicht mehr Mutter ist.


Huma_1
Bildergalerie
Stills aus TODO SOBRE MI MADRE, P. Almodóvar, E 1999 (li.) und OPENING NIGHT, John Cassavetes, USA 1977 (re.)

Die Figur Huma (links), angelegt als Variation des Bühnenstars Myrtle Gordon in OPENING NIGHT, gespielt von Gena Rowlands (rechts).


Huma_2
Bildergalerie
Stills aus TODO SOBRE MI MADRE, P. Almodóvar, E 1999 (li.) und ALL ABOUT EVE, Joseph L. Mankiewicz, USA 1050 (re.)

Die Figur Huma (links) in ihrer Selbstdarstellung nach dem Vorbild der Bette Davis in ALL ABOUT EVE (rechts).



Zwei Theaterstücke, zwei Filme, zwei Hollywoodstars – diese Spiegelung bildet die grundlegende Fügung des Films, aus der sich in der Folge eine Vielzahl ähnlicher Verschränkungen ableitet. So entsteht ein multiperspektivisches Bild, in das schließlich alle Figuren des Films als Überblendungen verschiedener Perspektiven eingehen: verschiedene Perspektiven eines kinematografisches Bildes, das alle möglichen Ansichten Evas – ALL ABOUT EVE – in sich zusammenführt, das alle Seiten der Mutter – TODO SOBRE MI MADRE – zeigen will.
Beim Theaterbesuch von Mutter und Sohn sehen wir eine Szene aus "A Streetcar Named Desire", die im Verlauf des Films leicht variiert immer wiederkehrt: Der hintere

Bühnenraum ist in ein kaltes blaues Licht getaucht; er ist durch ein Drahtgeflecht, eine durchsichtige Wand, vom vorderen Bühnenraum abgetrennt. Hinter dieser Wand sitzen drei Männer bei Bier und Kartenspiel: Stanley Kowalski und seine Freunde. Im Vordergrund, ein anderer Raum, agieren die Frauen: Blanche, Stella, die Ärzte aus der Psychiatrie. Wie in den beschriebenen Szenen aus PEPI; LUCI; BOM Y OTRAS CHICAS DEL MONTÓN, ¿QUÉ HA HECHO YO PARA MERECER ESTO!!, TACONES LEJANOS; LA FLOR DE MI SECRETO und VOLVER wird auch hier eine scharfe, nicht überschreitbare Trennung zwischen den Männern und den Frauen inszeniert. Nur die befehlenden Rufe Stanleys, seine Versuche, auf die Frauen einzuwirken, verbinden den einen Bezirk mit dem anderen. Zweimal sehen wir


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TODO SOBRE MI MADRE (ALLES ÜBER MEINE MUTTER). Pedro Almodóvar, E 1999 (8. bis 10. Minute)

das Ende des Stücks. Aber anders als bei Tennesse Williams oder in Elia Kazans Verfilmung (ENDSTATION SEHNSUCHT, USA 1951) mit Vivian Leigh (Blanche) und Marlon Brando (Kowalski) verlässt Stella das gemeinsame Haus. Sie geht im Vordergrund auf der Bühne an dem Raum der Männer vorbei. Mit ihrem Kind im Arm wiederholt sie die Abschiedsworte: "Ich werde nie wiederkehren, niemals."


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